Franziska Köppe, Inhaberin von madiko, hat zu einer Blogparade aufgerufen, die sich mit der Frage beschäftigt: Kein Produkt ohne Projekt?

Wer der Frage nachgeht, was ein Projekt ist, wird schnell auf diverse Definitionen dieses Begriffs stoßen, beispielsweise auch in Normen und Standards. So gibt es u.a. eine Begriffsbestimmung in der Projektmanagement-Norm DIN 69901, die ein Projekt als ein Vorhaben definiert, das im wesentlichen durch dessen Einmaligkeit in den Bedingungen gekennzeichnet ist, wie z.B.: Zielvorgabe, sowie zeitliche, finanzielle, personelle oder andere Rahmenbedingungen.

In der Realität spielen solche formalen Definitionen aber kaum eine Rolle. Mir begegnen bei Organisationen immer wieder eigene Bestimmungen des Projektbegriffs, mitunter innerhalb derselben Organisation sogar mehrere Auffassungen darüber, was ein Projekt ist. Und das Projekte u.a. auch zum Ziel haben können, ein Produkt zu entwickeln, d.h. dass sie ein Ergebnis erzeugen sollen, welches zu einer verkaufbaren Ware oder Dienstleistung werden kann, liegt auf der Hand. Es ist aber meines Erachtens keine Vorbedingung.

In vielen Organisationen existieren auch interne Projekte, die nicht unmittelbar zur betrieblichen Wertschöpfung beitragen. Beispiele dafür sind Projekte zur Organisationsentwicklung, Einführungsprojekte für Prozesse und Methoden, Aus- und Weiterbildungsprojekte, Förderprojekte für Führungskräfte, oder auch die Planung, Vorbereitung und Durchführung einer Betriebsfeier. Auch bei dieser Art von Projekten entsteht letztendlich ein Produkt (z.B. die umstrukturierte und neu aufgestellte Organisation), dieses kann jedoch nicht als Ware oder Dienstleistung vermarktet und verkauft werden.

Die Erfindung: Startpunkt einer Produktentwicklung

Muss einem Produkt immer zwingend ein Projekt vorangehen? Ich denke: Ja!

Muss einer bahnbrechenden Erfindung immer zwingend ein Projekt vorangehen? Ich denke: Nein! Hier hilft häufig “Kollege Zufall”.

penicillin-probe
Penicillin-Probe von Alexander Fleming aus dem Jahr 1935
(CC BY-SA 2.0, Credit: John Cummings)

Nehmen wir beispielsweise mal die Entdeckung des Penicillins. Der schottische Bakteriologe und Mediziner Sir Alexander Fleming kam im September 1928 aus seinen Sommerferien zurück ins Labor und fand zufällig eine Petrischale mit einer Staphylokokken-Kultur wieder, die er Monate zuvor verlegt und vergessen hatte. Er sah, dass auf dem Nährboden ein Schimmelpilz (Penicillium notatum) wuchs, und dass um diesen herum keine neuen Bakterien entstanden.

Es dauerte aber noch rund 15 Jahre bis dieser Wirkstoff in Apotheken erhältlich war, denn erst deutlich später wurde Penicillin in Rahmen von Forschungs- und Entwicklungsprojekten analysiert, synthetisiert, und konnte letztendlich in größeren Mengen im industriellen Maßstab produziert werden. Bis also aus Flemings zufälliger Entdeckung ein zugelassenes, marktreifes und verkaufbares Medikament (= Produkt) wurde, waren diverse Projekt in der Pharmaindustrie notwendig.

Komplexität und dynamisches Umfeld

Heutige Entwicklungsprojekte im Software und Systems Engineering sind hinsichtlich ihrer Komplexität für viele Organisationen eine Herkulesaufgabe. Dabei spielt es zumeist keine Rolle, ob es sich dabei um ein kundenspezifisches, individuelles Entwicklungsprojekt für lediglich einen Auftraggeber, oder um die Entwicklung eines serienreifen Produkts für den (Massen-)Markt handelt.

Dabei steigen nicht nur die Ansprüche bezüglich der funktionalen und qualitativen Eigenschaften des Produkts, den sogenannten Anforderungen, überproportional an. Auch die Entwicklungsorganisationen selbst werden immer komplexer. Weltweit verteilte Entwicklungsteams sind in vielen Branchen mittlerweile der Normalfall. Hinzu kommen ein globaler Wettbewerb, immer kürzere Time-to-Market-Zyklen und vor allem eine hohe Dynamik des Marktes. Dynamik heißt in diesem Kontext: Entwicklungsorganisationen sind heutzutage sehr viel häufiger mit Überraschungen – also: unvorhersehbaren Ereignissen und enttäuschten Erwartungen – konfrontiert, als es noch vor einigen Jahrzehnten der Fall war.

Disruptive Innovationen (disruptiv = etwas Bestehendes auflösend), die die Spielregeln des Marktes komplett verändern, sind prinzipbedingt nicht plan- oder vorhersehbar. Plötzlich und unerwartet ist der Wettbewerber mit einem Produkt am Start, welches alles bisher Dagewesene bezüglich Leistung, Qualität oder Preis in den Schatten stellt. So hat beispielsweise die Digitalfotografie den Fotomarkt komplett umgekrempelt. Für die 1892 gegründete Traditionsfirma Kodak war diese Innovation der Anfang vom Ende: sie ist heute nicht mehr im Fotografiemarkt vertreten. Und Wikipedia ist letztendlich bestimmt der wesentliche Grund dafür, dass von der berühmten Encyclopedia Britannica im Jahr 2012 die letzte gedruckte Ausgabe produziert wurde.

Vor diesem Hintergrund müssen sich Organisationen heutzutage ganz anders aufstellen, um mit diesen Komplexitätsherausforderungen in einem dynamischen Umfeld adäquat umgehen zu können, als es noch bis Mitte des vorherigen Jahrhunderts der Fall war.

Planung im komplexen Umfeld

Die Vorwegnahme der Zukunft – die Planung! – wird in einem solchen Kontext schwierig bis gar unmöglich. Das stellt insbesondere große Software und Systems Engineering Projekte vor Schwierigkeiten, deren Laufzeiten sich nicht selten im Bereich von mehreren Jahren bewegen. Statt eines Plans benötigen Organisationen, die solche Projekte stemmen müssen, eher eine Strategie. Eine Strategie erlaubt es, dass der Weg zum Ziel beim Gehen aufgedeckt wird. Eine Strategie erlaubt es, auf Überraschungen reagieren zu können, denn das stoische Festhalten an einem ursprünglich entworfenen Plan bedeutet in einem solchen Fall eher den Untergang. Eine Strategie hingegen stellt einen Handlungsraum zur Verfügung und erlaubt es Mitgliedern einer Organisation, selbstorganisiert zu handeln, und zeitnah problemadäquate Entscheidungen treffen zu können.

Im Komplexitätszeitalter verliert die Planung zunehmend an Relevanz. Der allwissende Manager, der sein Unternehmen oder seine Projekte souverän mit Hilfe seines Wissensvorsprungs steuert, wird zum Auslaufmodell.

Produktentwicklung und Projekte im Komplexitätszeitalter
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Ein Kommentar zu „Produktentwicklung und Projekte im Komplexitätszeitalter

  • 4. November 2016 um 9:19 (09:19 am CET) Uhr
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    Sehr guter Beitrag, vielen Dank.
    Danke auch an Franziska Köppe für die Initiierung.

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