“Digital Innovation Lab”, “Digital Innovation Hub”, “Innovation Space”, “Research Incubator”, “Innovation Center”, etc. Kommen Ihnen diese Begriffe vielleicht irgendwie bekannt vor? Gibt es eventuell sogar eine Einheit mit einem dieser (oder ähnlicher) Namen in Ihrer Organisation oder im Unternehmen? Dann sollten Sie jetzt auf jeden Fall weiterlesen.

Anti-Pattern: Innovation Lab

Seit einigen Jahren sprießen sie überall wie Pilze aus dem Boden: die Innovationslabore. Diejenigen, die ein solches Innovationslabor noch nicht in ihrem Unternehmen gegründet haben, beschleicht das unangenehme Gefühl, den anscheinend rasend schnell fahrenden Zug auf dem Weg zur allumfassenden Digitalisierung zu verpassen und dem hohen Innovationsdruck in unserer globalisierten Welt nicht mehr standhalten zu können.

eingang-innovation-hub
Der Eingang zum Innovation Hub am Bardhaman Science Centre, Indien. (Foto: Biswarup Ganguly, CC BY 3.0)

Die digitale Transformation, kurz: Digitalisierung, treibt im Moment alle Unternehmen an. Insbesondere Deutschland gilt als digitales Entwicklungsland und hat einen großen Nachholbedarf. Alle Organisationen fühlen sich derzeit mit den daraus resultierenden Herausforderungen, wie beispielsweise einem zunehmenden internationalen Marktdruck, konfrontiert. Die Idee, eine dedizierte unternehmensweite Organisationseinheit für kreative und innovative Lösungen aufzubauen, klingt daher aufregend, vielversprechend, hip und hört sich nach einer guten Lösung an, um mit der digitalen Transformation angemessen umzugehen.

Irgendwie sind diese “Labs”, “Hubs” und “Spaces” sowieso der letzte Schrei: Coole Designer-Möbel, hunderte von bunten Haftnotizen an den Wänden, diverse über den Raum verteilte Business-Canvas-Boards und Story-Maps, Stehtische, herumstehende LEGO®-Modelle, ein Kühlschrank gefüllt mit angesagten Szene-Getränken, und natürlich der obligatorische Kickertisch sollen eine coole Start-Up-Atmosphäre verbreiten.

Die Auserwählten, die dort kreativ und innovativ sein dürfen, sind natürlich handverlesene Mitarbeiter des Unternehmens. Nur die Besten der Besten, die Kreativsten der Kreativen; die Querdenker. Dieser elitäre Kreis soll auf die dringenden und quälenden Fragen der Zukunft und die digitale Transformation nun möglichst schnell die passenden Antworten finden, während der überwiegende Rest der Mannschaft nach guter alter Taylor-Tradition weiter malochen darf um die Unternehmensziele zu erreichen. Und so wirken diese Labore inmitten des zumeist konservativ und klassisch aufgestellten und agierenden Unternehmens häufig wie Fremdkörper, wie Raumschiffe, wie das “innere Silicon Valley”, oder das berühmte gallische Dorf aus den Asterix-Comics.

Das Innovationstheater scheitert

Dem gegenüber wird es kaum an die große Glocke gehängt, wenn ein solches “Innovation Lab” – oder wie es auch immer heißen mag – wieder geschlossen wird. Und das passiert häufiger als viele glauben. In den letzten Jahren haben namhafte Unternehmen, wie Microsoft, Disney, Coca-Cola oder British Airways ihre Innovationslabore wieder geschlossen oder zumindest erheblich runtergefahren. Innovation auf Knopfdruck, auf Befehl, funktioniert eben oftmals nicht, auch nicht in der buntesten und hippesten Umgebung. Wer einen Raum für Kreativität und Innovation quasi up-front errichtet und diesen mit den oben genannten Werkzeugen und Eigenschaften ausstattet, der baut letztendlich ein Theater. Und die Schauspieler in dem auf dieser Bühne aufgeführten Theaterstück versuchen dann unter hohem Druck innovativ zu sein, denn letztendlich muss auch ein solches “Lab” irgendwann brauchbare Ergebnisse, wie beispielsweise neue Produktideen oder Geschäftsmodelle, vorweisen können. Ansonsten ist es schnell vorbei mit der Party und das Management dreht den Geldhahn zu.

Darüber hinaus kann auch ein solches Innovationslabor nur in den allerseltensten Fällen wirklich autonom und selbstorganisiert agieren. Letztendlich gibt es dann doch mannigfaltige Abhängigkeiten vom Rest des Unternehmens. Neue Ideen aus dem Labor müssen ja dann im gesamten Unternehmen implementiert werden, sonst sind sie wertlos. Und dort, wo die anderen Mitarbeiter eifrig damit beschäftigt sind, die vom klassischen Management vorgegebenen Unternehmensziele zu erreichen, hat man nun mal zumeist recht wenig Zeit, sich nebenher auch noch um die Umsetzung von kreativen neuen Ideen zu kümmern. Im Gegenteil, viele sehen die Ergebnisse aus einem solchen Labor oftmals sogar kritisch und sind Gegner der daraus resultierenden Veränderungen. Das führt häufig zu politischen Kämpfen an den Schnittstellen zwischen dem Innovationslabor und der “alten Welt”.

Innovationslabore sind der Versuch, durch Einflussnahme auf die Verhaltenskultur – das heißt, auf Anweisung von oben – Innovation zu erzwingen, doch die existierende und nicht direkt gestaltbare Wertekultur des Unternehmens steht dieser Veränderung im Weg.

Und wie geht es nun richtig?

Ich bitte Sie, mich nicht falsch zu verstehen. Ich halte einen Business-Model-Canvas, Story-Maps oder Workshop-basierte Methoden wie das Event Storming für hochgradig gute, effiziente und auch effektive Werkzeuge. Das Gleiche gilt beispielsweise auch für das Design Thinking, oder die LEGO® Serious Play® Methode. Viele dieser Methoden und Werkzeuge, die wir bei meinem Unternehmen oose natürlich auch im Angebot haben, habe ich selber schon anwenden können und bin immer wieder erstaunt, wie gut und wertvoll die daraus hervorgegangenen Ergebnisse sein können.

Allerdings zäumt man das Pferd von der falschen Seite auf, wenn man erst die Innovations- und Kreativitätswerkzeuge auswählt, und dann im Nachgang überlegt, was man denn jetzt damit eigentlich alles machen möchte. Entscheidend ist zunächst zu erkennen, welche Herausforderung man angehen möchte.

think-outside-of-the-box

Doch wie geht es richtig? Wie kann man als Unternehmen den komplexen Herausforderungen der Zukunft angemessen begegnen und für sich selbst herausfinden, was das Internet of Things, Industrie 4.0 und die damit einhergehende digitale Transformation bedeuten?

Innovation ist eine gesamtunternehmerische Aufgabe. Innovativ sein zu dürfen darf nicht nur einem elitären Mitarbeiterkreis in einem künstlich erschaffenen “Lab” erlaubt sein. Das Streben nach Innovation muss hingegen eine völlig selbstverständliche und bei allen Mitarbeitern verankerte Grundhaltung sein. Das heißt, dass sie sich somit auch in der Wertekultur der Organisation wiederfindet.

Diversität (Vielfalt). Vielfältig zusammengesetzte Teams mit Menschen unterschiedlichen Alters, Geschlechts, ethnischer Zugehörigkeit, physischer Fähigkeiten, Berufserfahrung, Aufgabenbereichen, Rollen und Status erlauben es, Probleme aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten. Nur wenn man Herausforderungen aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet und alle Meinungen zulässt, können neue und innovative Ansätze entstehen.

Entspannung fördert Kreativität. Kreative Impulse haben wir häufig dann, wenn wir am wenigsten damit rechnen, und nicht auf Zwang in einem “Lab”. Jeder kennt sie sicherlich, die berühmte tolle neue Idee, die einem plötzlich unter der Dusche oder während eines entspannenden Spaziergangs kommt. Dieses Phänomen ist mittlerweile recht gut erforscht und liegt an einer Art Leerlaufmodus im Gehirn, den Neurowissenschaftler „Default Mode“ nennen. In solchen Phasen wird das sogenannte reizunabhängige Denken ermöglicht, also das Tagträumen. Menschen machen beispielsweise Zukunftspläne in solchen Momenten. Unsere kreative Leistungsfähigkeit ist dann am höchsten, und im Idealfall entsteht eine zündende Innovationsidee. Daher sollten Unternehmen ihren Mitarbeitern in der Arbeitszeit auch entsprechende Rückzugsmöglichkeiten oder die Chance auf eine kurze Auszeit (z.B. einen Ruheraum oder die Möglichkeit eines Spaziergangs während der Arbeitszeit) bieten. Auch die Meditation kann das kreative Denken positiv beeinflussen.

Offenheit gegenüber neuen Ideen. Wer als Unternehmer von seinen Mitarbeitern Innovation fordert, muss bereit sein, auch auf dem ersten Blick verrückt erscheinende Ideen zuzulassen; also auch solche, die das bisherige Geschäftsmodell über den Haufen werfen würden (sog. disruptive Innovation). Ein schlechtes Beispiel ist das Unternehmen Kodak, das zwar im Jahr 1975 die erste Digitalkamera erfunden hat, aber Bedenkenträger im Management sahen dadurch die analoge Fotografie und das darauf basierende Geschäftsmodell Kodaks gefährdet. Wie das für das Traditionsunternehmen endete, ist bekannt: 2012 ging Kodak bankrott. Der positive und wertschätzende Umgang mit Ideen der Mitarbeiter ist also der Schlüssel zur erfolgreichen Innovation. Daher sollten alle Gedanken und Inspirationen zugelassen, und diesen ein Forum eingeräumt werden, wo man sie ergebnisoffen analysieren kann.

Vertrauen in die Selbstorganisation. Ist erst einmal eine vielversprechende Idee da, so gilt es, diese bis zur Marktreife zu entwickeln. Das kann mitunter Wochen, manchmal auch etliche Monate oder gar Jahre dauern. Wichtig ist, dass man diese Entwicklung interdisziplinären und cross-funktionalen Teams vertrauensvoll überlässt, die sich selbst organisieren. Das Management sollte nur als Unterstützer und Sponsor auftreten, und alles was das Team benötigt (Ressourcen, einen geschützten Raum, etc.) zur Verfügung stellen. So richtig nach hinten geht es los, wenn das Management eine übertriebene Detailorientierung zeigt (sog. Micro-Management), d.h.: alles genau beobachtet, jeden kleinen Schritt einzeln bewertet, um dann ständig dazwischen zu grätschen um Einfluss zu nehmen. Stattdessen sollten dem Team möglichst viele Freiheiten gegeben werden, um das Ziel auf eigenem Wege zu erreichen. Das betrifft sowohl die Rollen- und Aufgabenverteilung, als auch die gewählte Vorgehensweise oder Methode.

Positive Fehlerkultur. Innovation heißt auch, dass ein Experiment mal schief gehen kann. Das darf für die Mitarbeiter keine schlimmen Folgen haben. Das englische Wort für Scheitern oder Versagen sollte positiv besetzt werden: FAIL = First Attempt In Learning (deutsch: Erster Versuch zu lernen). Fehler gehören nun mal dazu, sie sind ein essenzieller Bestandteil des Lernens, der Weiterentwicklung. Wichtig ist daher, dass das Unternehmen seine Akzeptanz von Fehlern bzw. Fehlversuchen an die Mitarbeiter signalisiert. Eine Organisation hingegen, die Fehler nicht als Lernerfahrung sieht, sondern stattdessen Schuldige sucht und diese zur Verantwortung zieht, ist tot.

Wie stehen Sie zu diesem Thema? Haben Sie auch schon Erfahrungen mit Innovationsprojekten gemacht? Was lief gut, was lief nicht so gut? Ich freue mich über Ihre Diskussionsbeiträge.

Das Anti-Pattern namens Innovation Lab

2 Kommentare zu „Das Anti-Pattern namens Innovation Lab

  • 22. August 2018 um 12:27 (12:27 pm CEST) Uhr
    Permalink

    Sehr geehrter Herr Roth,

    Sie sprechen (oder besser: Sie schreiben) mir aus dem Herzen. Für mich sind diese Erkenntnisse zu “Innovation Labs“ aber nicht neu. Vielmehr sehe ich die gleichen Chancen, Erkenntnisse, Fehlentwicklungen und Missverständnise wie sie in Bezug auf das Thema Qualitätsmanagement weit verbreitet waren und immer noch sind. Ersetzen Sie KI oder Big Data durch Statistik und statistische Methoden, Innovation Lab durch Qualitätszirkel, CIO durch Qualitätsbeauftragten und Sie fühlen sich um 20 bis 40 Jahre zurückversetzt.

    Die Erkenntnis ist genauso zeitlos wie missverstanden: Ohne den Willen und das richtige Handeln des Managements abseits rein finanzieller Kennzahlen ist jede Bemühung um Innovation, Prozessverbesserung oder Digitalisierung vergebens. Aber wie sage ich das meinem Chef?

    Antworten
  • 5. Dezember 2021 um 11:21 (11:21 am CET) Uhr
    Permalink

    Ich möchte alles “unterstreichen”. Sie beschreiben wunderbar, worin die Herausforderungen von Labs / Innovation Hubs bestehen. Und wie man es anders angehen kann, oder sollte.
    Es ist einfach enorm schwer die Kultur eines Labs/Hubs – in dem sich mit der Zeit ja ein “duales Betriebssystem” herausbildetet – mit der des bestehenden Unternehmens/Betriebssystems zusammenzubringen.
    Ich kann mir aber durchaus Situationen vorstellen, in denen diese Herausforderung anzunehmen durchaus nötig ist. Zum Beispiel dann, wenn das Unternehmen zwingend eine Veränderung braucht, bei Produkten, Services oder (internen) Prozessen.
    In diesem Fall, so denke ich, kann die Veränderung nicht im Unternehmen stattfinden.
    Etwas anders formuliert, In Anlehnung an Einstein: Probleme können nicht mit der gleichen Denkweise gelöst werden können, mit der die Probleme erst entstehen konnten!
    Ist dieser Erkenntnis beim Management / im Führungskreis des Unternehmens da, dann kann m.E. in einem Lab / Hub durchaus ein geeigneter Lösungsansatz bestehen.
    Was denken Sie, wie denken Sie darüber? Also: Sehen Sie situative Rahmenbedingungen, die ein Lab / Hub erfordern?

    Antworten

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert