Diese Frage begegnete mir in letzter Zeit häufiger in diversen Medien, Online-Foren, oder auch in persönlichen Diskussionen. So fordern mittlerweile auch viele Bildungsexperten, dass Programmieren, sowie auch grundsätzliche Kompetenzen im Umgang mit digitalen Medien und Werkzeugen, schon früh in der Schule erlernt werden sollten.

childrenAls wesentlicher Grund wird häufig die drastisch voranschreitende Digitalisierung und Vernetzung unserer Welt genannt. Treiber für diese Entwicklung ist vor allem das Internet. Fand bis vor wenigen Jahren noch überwiegend eine Vernetzung der Menschen mittels des Internets auf der Basis von sog. Social Networks statt, so vernetzen sich jetzt Gegenstände – Stichwort: Internet of Things (IoT). Das hat zu Folge, dass wir in unserer Umwelt immer mehr “intelligente Dinge” zur Verfügung haben werden, die miteinander kommunizieren und – zum Teil unbemerkt – den Menschen unterstützen. Der Kontakt und die Interaktion mit Software über Mensch-Maschine-Schnittstellen, der ja schon jetzt Alltag ist, wird in seiner Intensität in den nächsten Jahren noch deutlich zunehmen. Noch assoziieren zwar viele Menschen mit einem Computer überwiegend einen PC, einen Laptop, oder das Tablet bzw. Smartphone, doch schon bald werden wir umgeben sein von einer Vielzahl physischer, äußerlich unscheinbarer Objekte, die Daten mit ihrer Umgebung austauschen, bzw. Daten aus der Umgebung auswerten können.

Programmierkenntnisse: Eine weitere Dimension der Bildung

Die Befürworter argumentieren daher, dass Programmierkenntnisse inzwischen genauso zum Allgemeinwissen dazugehören, wie Deutsch, Mathematik, oder beispielsweise ein gutes Grundwissen über das Mittelalter, die Wirtschaft oder den 2. Weltkrieg. In China lassen daher schon heute viele Eltern ihre Kinder bereits im Kindergarten das Programmieren lernen.

In seinem Blogbeitrag Everyone Should Learn To Program, But Not Everyone Should Be A Programmer vertritt der Software-Entwickler, Autor und Unternehmer John Sonmez die Meinung, dass Kenntnisse über Programmierung in unserer heutigen Zeit quasi unverzichtbar sind. Er betrachtet Programmierung als eine weitere Dimension der Bildung.

Das Computertechnologie und Software alle Berufe signifikant verändern werden, zeigt auch eine Initiative des bayrischen Automobilherstellers BMW. Dessen Top-Management hat im Mai diesen Jahres angekündigt, dass seine Maschinenbau-Ingenieure IT-Kompetenzen erwerben sollen, damit das Unternehmen für die immensen Herausforderungen und den anstehenden Wandel der gesamten Branche in Richtung Elektromobilität, digitale Vernetzung und autonomes Fahren gerüstet ist. Im Online-Nachrichtenmagazin des Spiegel prognostiziert BMW-Vorstandschef Harald Krüger allen Autoherstellern, die diesen Trend verpassen, eine düstere Zukunft: „Wer keine nachhaltige und digital vernetzte Mobilität anbieten kann, wird sich schwer tun, die Transformation zu überleben.”

Eine Armee von Entwicklern?

Sehr schnell kommt dann die durchaus berechtigte Frage auf: Sollen denn jetzt alle Menschen professionelle Programmierer werden? Sollen unsere Schulen jetzt Heerscharen von Softwareentwicklern ausbilden?

Nein, so ist das sicher nicht gemeint!

Auch wenn der Bedarf an guten Softwareentwicklern nach wie vor sehr hoch ist und vom aktuellen Arbeitsmarkt nicht gedeckt werden kann, so geht es den Befürwortern nicht darum Millionen von potenziellen Arbeitskräften für die IT-Industrie heranzuziehen, damit diese Unternehmen später auf ein reichhaltiges Arsenal an Fachkräften zurückgreifen kann. Das ist zum Einen ganz sicher nicht Aufgabe der Schulen, zudem wäre es auch unrealistisch, denn zum Handwerk eines guten Softwareentwicklers gehört weitaus mehr als nur programmieren zu können. Vielleicht findet aber der bzw. die eine oder andere SchülerIn Geschmack an der Softwareentwicklung und strebt darauf hin eine Karriere in der IT an, was dieser Branche angesichts düsterer Prognosen gut tun würde. Denn laut einer gemeinsamen Studie der Vodafone Stiftung Deutschland gGmbH und des Instituts für Demoskopie Allensbach aus dem Jahr 2014 rangieren IT-Berufe auf dem letzten Platz der von Schülerinnen und Schülern benannten Traumberufe. Gerade einmal 6% der befragten Jungen und – besonders erschreckend! – weniger als 0,5% der Mädchen gaben an, später in dem Berufsfeld Computer & IT-Bereich arbeiten zu wollen.

Worum es wirklich geht!

Wenn nun gefordert wird, dass jeder Programmieren lernen soll, so geht es unter anderem darum, das alles zu verstehen und auch zu entmystifizieren, was um uns herum passiert. Es geht um die Stärkung des Bewusstseins für die Chancen, als auch für die nicht zu unterschätzenden Risiken in einer hochgradig digitalisierten Welt; einer Gesellschaft, in der ausnahmslos jeder Lebensbereich von Software durchdrungen sein wird. Warum ist das Thema Datenschutz in einer Welt, in der Software essenzieller Bestandteil der Infrastruktur ist, wichtiger denn je? Was bedeutet das für die Arbeitswelt der Zukunft? Warum könnten diverse Berufe und ganze Berufsbilder in den nächsten Jahren nahezu verschwinden? Welche Risiken bestehen darüber hinaus auch für die Gesundheit und das Leben von Menschen, wenn beispielsweise der Kühlschrank, die Zentralheizung, das Blutzuckermessgerät oder der Herzschrittmacher in einem gemeinsamen Netzwerk sind und alle eine API (Programmierschnittstelle) anbieten? Wie funktioniert das Smart Home, die Smart City, die Smart Factory (Stichwort: Industrie 4.0), der vernetzte Supermarkt, oder auch die sog. Virtual Power Plants? Was ist eigentlich “die Cloud” und wo genau liegen denn dort die Daten? Warum könnte die Blockchain-Technologie die Welt des Handels und des Geldverkehrs fundamental verändern? Wie funktioniert das?

Zudem prognostizieren Forscher der Oxford-Universität, dass auf dem US-Arbeitsmarkt in Zukunft nahezu jeder zweite Job, der zwar vor allem relativ einfache, leicht automatisierbare Tätigkeiten beinhaltet, aber durchaus auch anspruchsvollere Berufe, von Computern oder Robotern erledigt werden kann und wird.

Fakt ist: Grundlegende Programmierkenntnisse fördern ein grundsätzliches Verständnis für alle diese Fragen und können Ängste abbauen!

Daher weist auch das World Economic Forum darauf hin, dass es essenziell ist unseren Kindern Kenntnisse und Kompetenzen zu vermitteln, die als Digitale Intelligenz (DQ, Kurzform für Digital Intelligence Quotient) bezeichnet werden. Unter digitaler Intelligenz versteht man einen Satz von sozialen, emotionalen und kognitiven Fähigkeiten, der Menschen dazu befähigt, die Herausforderungen zu bewältigen und auf die Anforderungen des Zeitalters der Digitalisierung vorzubereiten.

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The 8 digital skills that children need to effectively, safely and responsibly use digital media and technologies.
Creative Commons Public License (“CCPL”), credits: World Economic Forum.

Softwareentwicklung ist vor allem eine soziale Aktivität

Neben den zuvor genannten Aspekten kann das Programmieren im Team noch weitere wichtige Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler entwickeln und stärken. Da Softwareentwicklung im Team vor allem auch eine soziale und interaktive Tätigkeit ist, werden auch die kommunikativen Fertigkeiten geschult. Das gemeinsame Lösen eines Programmierproblems erfordert nicht nur Kreativität und die Kenntnis einer Programmiersprache. Es geht auch darum Gruppenprozesse mitzugestalten, Kritik entgegen zunehmen bzw. konstruktiv formulieren zu können, eine große und komplexe Aufgabe in Teilaufgaben zu zerlegen und zu verteilen, einen Arbeitsrollenwechsel zu erleben und akzeptieren zu können, mit Menschen anderer Kulturen erfolgreich und angemessen zu interagieren (Stichwort: Interkulturelle Kompetenz), etc. Programmieren hat heutzutage auch oft mit der systematischen Durchführung von Recherchen zu tun. Das sind alles Fähigkeiten, die im Wissens- und Dienstleistungszeitalter, und für die Anforderungen der heutigen Arbeitswelt, und erst Recht für die der Zukunft, unverzichtbar sind.

Wie stehen Sie zu diesem Thema? Ich freue mich über Ihre Diskussionsbeiträge.

Sollte jeder programmieren lernen?
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2 Kommentare zu „Sollte jeder programmieren lernen?

  • 12. September 2016 um 7:58 (07:58 am CEST) Uhr
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    Interessante Fragestellung. Ich finde es absolut sinnvoll, das als Schulfach aufzunehmen. Wie die Grafik mit den 8 digitalen Fähigkeiten deutlich zeigt , gibt es einfach zu viel, was im Alltag zu wichtig ist, um es nicht zu wissen. Natürlich wird deshalb nicht jeder Schüler ITler. Es wird ja auch nicht jeder Künstler, Dichter, Physiker, Sprachwissenschaftler oder Sportler, obwohl die Fächer unterrichtet werden. Aber es würde den Alltag auch ohne dem Bereich gebildetete Eltern früher oder überhaupt verständlicher machen, durch Naivität begangene Fehler reduzieren UND eine berufliche Perspektive als Option stärken. Ich bin dafür.

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  • Pingback:Deutschland ist digitales Entwicklungsland | Stephan Roth

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